
In meiner Arbeit als Paarberaterin erlebe ich immer wieder, wie gerade in Krisenzeiten Kränkungen besonders häufig auftreten – und wie sehr sie beiden Seiten leid tun. Es ist ein paradoxes Phänomen: Ausgerechnet in den Momenten, in denen wir uns nach Nähe und Verständnis sehnen, sagen oder tun wir Dinge, die den anderen verletzen. Warum passiert das?
Krisen bringen Menschen an ihre emotionalen Grenzen. Stress, Unsicherheit, Angst oder Enttäuschung führen dazu, dass unsere Schutzmechanismen aktiviert werden. Wir reagieren schneller, impulsiver, oft aus einem inneren Schmerz heraus. Die Fähigkeit, den anderen wirklich zu sehen, zu hören und zu verstehen, wird eingeschränkt. Stattdessen dominieren eigene Bedürfnisse, eigene Verletzungen, eigene Erwartungen. In dieser angespannten Atmosphäre genügt ein falsches Wort, ein abweisender Blick oder ein missverstandener Satz – und schon ist die Kränkung da.
Was dabei oft übersehen wird: Kränkungen in Beziehungen sind selten absichtlich. Sie entstehen aus einem Mangel an emotionaler Sicherheit. Wenn sich jemand nicht gesehen, nicht gewürdigt oder nicht geliebt fühlt, kann ein harmloser Kommentar wie ein Angriff wirken. Und wenn wir selbst verletzt sind, greifen wir manchmal zu Worten, die wir später bereuen – nicht, weil wir verletzen wollten, sondern weil wir uns selbst nicht anders zu helfen wussten.
Dass es uns leid tut, ist ein Zeichen von emotionaler Reife und Beziehungsfähigkeit. Es zeigt, dass wir Verantwortung übernehmen, dass uns der andere wichtig ist, dass wir die Verbindung nicht verlieren wollen. In der Paarberatung ist dieser Moment oft ein Wendepunkt. Wenn ein Partner sagt: „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen“, öffnet sich ein Raum für Heilung. Die Kränkung wird nicht ungeschehen gemacht, aber sie bekommt einen Kontext. Sie wird eingebettet in das größere Bild einer Beziehung, die nicht perfekt ist, aber lebendig.
Als Paarberaterin sehe ich meine Aufgabe darin, diesen Raum zu schaffen. Einen Raum, in dem Kränkungen nicht als Schuldzuweisungen behandelt werden, sondern als Ausdruck tieferer Bedürfnisse. Einen Raum, in dem Reue nicht als Schwäche gilt, sondern als Stärke. Und einen Raum, in dem Paare lernen, sich gegenseitig wieder zu sehen – hinter der Kränkung, hinter dem Schmerz, hinter der Krise.
Denn letztlich sind Kränkungen in Krisen nicht das Ende einer Beziehung, sondern oft der Anfang einer neuen, ehrlicheren und tieferen Verbindung. Wenn wir bereit sind, hinzuschauen, zu verstehen und zu vergeben.